neue Rechte

neue Rechte
neue Rechte,
 
geistig-kulturelle Strömung seit den 1970er-Jahren in Europa und den USA, die sich von älteren politischen und weltanschaulichen Auffassungen der Rechten absetzt. Sie entstand als Nouvelle Droite in Frankreich um 1968, getragen von rechtsintellektuellen Pariser Gruppierungen, die sich gegen die »kulturelle Hegemonie« der Linken wenden; gemäß dem von ihr angenommenen »Ende der Ideologien« glauben sie, in ein geistiges Vakuum vorstoßen zu müssen. Theoretiker der neuen Rechten, u. a. Alain de Benoist und Guillaume Faye, verstehen sich als Gegenbewegung zur Mairevolte der »68er« und zur neuen Linken. Im Unterschied zu älteren rechtskonservativen Strömungen, die Theorien und Ideologien gegenüber in der Regel skeptisch eingestellt waren, strebt die neue Rechte eine kohärente Doktrin auf sozial- und naturwissenschaftlicher Grundlage an. Im Anschluss an Theorien des italienischen Kommunisten A. Gramsci will sie selbst die »kulturelle Hegemonie« erringen; im Gegenzug, aber auch in Analogie zur »Kulturrevolution« der neuen Linken sei in westlichen Industriegesellschaften die Macht nicht mehr über politisch-militärische Apparate und Institutionen zu erlangen, sondern durch eine »Kulturrenaissance« und die gezielt vorbereitete Vorherrschaft im Bereich der Ideen. Diese »metapolitische« Strategie zielt auf eine langfristige Umwandlung der Mentalitäten und Wertvorstellungen bis zur »Umkehr der ideologischen Mehrheit« mit den Intellektuellen als Meinungsführer.
 
Der politische Hintergrund für die Entstehung der neuen Rechten war die ökonomische und politische Krise der 70er-Jahre und die neokonservative Kritik am Wohlfahrtsstaat und der Massendemokratie westlicher Prägung (Neokonservativismus); außenpolitischer Kontext war die westliche Politik der Entspannung mit dem ideologischen »Hauptfeind«, der UdSSR, und das Kondominium der beiden Supermächte, das Europa in eine untergeordnete Rolle versetzt habe. Organisator. und konzeptionelles Zentrum der neuen Rechten sind »Gedankengesellschaften«, z. B. die Forschungs- und Studiengruppe GRECE (Abkürzung für Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne; gegründet 1968 von Benoist, Jean Mabire, Jean-Claude Valla u. a.; geschätzte Mitgliederzahl etwa 3 000-5 000 Personen) und der Club de l'Horloge. Adressaten dieser Zirkel sind Meinungsführer in Regierung und Verwaltung sowie in den Medien und rechtsgerichteten Parteien.
 
Die zentralen Ideen der neuen Rechten in Frankreich richten sich kritisch gegen Grundpositionen der kulturellen und politischen Moderne, v. a. gegen das Gleichheitspostulat und die Verbindlichkeit universaler Menschenrechte. Marxisten, Christen und Liberale werden gleichermaßen als Vertreter eines »reaktionären Humanitarismus« und »humanistischen Aberglaubens« verurteilt. Die neue Rechte verficht einen antiegalitären »heroischen Humanismus« zugunsten eines (nicht durch Geburt, sondern durch Leistung) aristrokratischen Menschen. Zu den wichtigsten geistigen Wurzeln und Quellen zählen die Soziobiologie und die Ethologie (K. Lorenz, I. Eibl-Eibesfeldt, H. J. Eysenck). Vererbung und anthropologische Verhaltenskonstanten gelten als Grundlagen des Sozialen. Letzte kollektive Grundeinheiten der im Prinzip unabänderlichen, aber im Detail von »den Besten« schöpferisch zu gestaltenden Welt sind die Völker, also ethnische Gemeinschaften. Die Rechte der Völker und Nationen, auch der staatlichen und sozialen Organismen werden höher gesetzt als die der Individuen. Die neue Rechte geht auf Distanz nicht nur zum Kommunismus, sondern auch zur »amerikanischen Vermassung«. Die Periode des europäischen Faschismus wird von der neuen Rechten weniger kritisch, zum Teil als »anschlussfähig« betrachtet.
 
Die Grenzen zwischen Neokonservativismus und neuer Rechten sind fließend. In Großbritannien wollen Rechtsintellektuelle, z. B. die Salisbury Group (Roger Scruton), dem Konservativismus ein anspruchsvolles Programm geben, scheuen aber auch nicht Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Neben kriegerischem Heroismus und pseudowissenschaftlich begründetem Rassedenken spielt der Antifeminismus eine Rolle. In den USA kommen Themen der neuen Rechten in den Veröffentlichungen und Veranstaltungen neokonservativer Publizisten zum Tragen; zu den genannten europäischen Aspekten kommen dort Motive der radikalen Lebensschutzbewegung (Pro Life), die gegen die liberale Abtreibungsgesetzgebung und -praxis zu Felde zieht, und einer fundamentalistischen »religiösen Rechten«. Programmatische Überschneidungen und personelle Verbindungen zu konspirativ arbeitenden neofaschistischen Organisationen (New Alliance Party) und Geheimgruppen (World Anti-Communist League, Ku-Klux-Klan) werden von Kritikern hervorgehoben. Charakteristisch sind populistische Agitationstechniken (z. B. über Fernsehkirchen).
 
In Deutschland greift die neue Rechte auf deutschsprachige Theoretiker wie F. Nietzsche, Carl Schmitt, E. Jünger und K. Lorenz zurück. Die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik aktiven Strömungen der konservativen Revolution können als eine Hauptquelle der neuen Rechten angesehen werden. Im Gegensatz zu Frankreich beschränkt sich ihr Wirkungskreis nur auf kleine Zirkel (»Thule-Seminar«, gegründet 1980) und Zeitschriften (Criticón, gegründet 1970). Einer der führenden Publizisten der neuen Rechten ist Armin Mohler. Die neue Rechte ist mehr ein intellektuelles Phänomen, lässt sich also an Parteigründungen im Bereich des Rechtsextremismus nicht festmachen, wenngleich sie sich zum Teil in einer Grauzone zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus bewegt und ideologische Übereinstimmungen mit Letzterem aufweist (antiegalitäre und antiliberale Stoßrichtung, Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit).
 
 
A. Mohler: Von rechts gesehen (1974);
 A. Mohler: Die konservative Revolution in Dtl. 1918-1932, 2 Bde. (31989);
 G. Bartsch: Revolution von rechts? Ideologie u. Organisation der N. R. (1975);
 A. de Benoist: Kulturrevolution von rechts (a. d. Frz., 1985);
 A.-M. Duranton-Crabol: Visages de la nouvelle droite. Le Grèce et son histoire (Paris 1988);
 C. Leggewie: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Krise der Union (Neuausg. 1990);
 M. Minkenberg: Neokonservatismus u. n. R. in den USA (1990);
 S. Mantina: Die »N. R.« in der »Grauzone« zw. Rechtsextremismus u. Konservatismus (1992);
 P.-A. Taguieff: Sur la nouvelle droite. Jalons d'une analyse critique (Paris 1994);
 U. Worm: Die n. R. in der Bundesrep. Programmatik, Ideologie u. Presse (1995);
 R. Benthin: Die N. R. in Dtl. u. ihr Einfluß auf den polit. Diskurs der Gegenwart (1996).

Universal-Lexikon. 2012.

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